ARD Mittagsmagazin - 29.07.2014

Nachdem nun der Fernsehbeitrag (zur Regeländerung) gesendet ist, auch die Nominierung zur Europameisterschaft offiziell ist, möchte ich hier ein paar Worte darüber verlieren, was meine Ziele über die EM hinaus sind. Es ist mir wichtig, dies im Vorfeld öffentlich zu erklären, mich gerne auch einer konstruktiven Diskussion zu stellen, solange diese nicht ausartet.

 

Vor der WM 2012 in Lyon haben wir im Bereich „sitzend-Wurf“ zum ersten Mal etwas davon gehört, dass sich unser Reglement nach der WM entscheidend verändern könnte und auch in welche Richtung. Wir haben alle irgendwie gehofft, dass dieses "Damoklesschwert" an uns vorüberziehen würde, aber es hat uns stattdessen mit voller Wucht getroffen.

 

Für die, die sich damit nicht so auskennen sei es kurz so erklärt: Sitzende Werfer durften sich bisher einen Stuhl bauen, der max. 75 cm hoch war, das war eigentlich das Wichtigste. Ein Bein musste während des gesamten Wurfes mindestens am Boden stehen, bzw./oder beide Beine fest mit dem Stuhl verbunden sein. Es war erlaubt, dass man sich in/mit der Abwurfbewegung vom Stuhl erhebt, wenn das die körperlichen Fähigkeiten erlaubt haben. Vor allem in meiner Gruppe, in der eigentlich so gut wie jeder irgendwie Stehen und ein paar Schritte (mit oder ohne Hilfe) gehen kann, war das optimal.

Nun gibt es das neue Reglement, das allen sitzenden Werfern (gleich welcher Behinderung) die gleiche Sitzhaltung vorschreibt. Wir müssen von der Kniekehle bis zum Po auf der Sitzfläche sitzen, dürfen da wirklich in der Wurfbewegung keinen Millimeter hochkommen, was der totale Irrsinn ist, weil man sich ja schließlich nicht mit Sekundenkleber festtackern kann.

Bis auf wenige Ausnahmen musste sich fast jeder einen neuen Stuhl bauen lassen. Ich bin mit beiden Oberschenkeln festgezurrt, weiter an den Füßen und habe zusätzlich einen festen Bauchgurt, der mich mit zwei Seilen in der Wurfbewegung nach unten hält. In der Kniekehle habe ich trotz abgepolstertem Stuhl ausgedehnte Blutergüsse. (Die Dymamik, die man in die Würfe/Stöße legt, wirken natürlich als Kräfte auf die Gurte und daher kommen dann auf Dauer diese Verletzungen.) Das gleiche an den Oberschenkeln durch die Gurte. Der Bauchgurt scheuert, weil ich mich ja darunter bewege und ich bin mittlerweile wund und hab da extra noch was drunter. Mein rechtes Knie tut weh und nach immer rund zehn Stößen muss ich von dem Stuhl runter, weil die Schmerzen in meinem linken Bein von der Spastik extrem groß werden. Mittlerweile hat sich in meinem linken Bein so eine große Spastik aufgebaut wie ich sie seit Jahren nicht mehr hatte. Das ist der Daueranspannung durch die Gurte geschuldet.

DAS ist kein Werfen/Stoßen mehr, das Freude macht, das ist Qual!

Für mich war Werfen/Stoßen immer etwas, bei dem ich mich körperlich und auch persönlich weiterentwickeln konnte, woraus ich meine Kraft und meine Motivation gezogen habe. Jetzt zieht mir das meine Kraft ab und behindert mich definitiv mehr.

 

Bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin habe ich deshalb für mich eine Entscheidung getroffen. Ich werde einen Schritt in eine Richtung gehen, der mich viel Mut kostet und sicherlich körperlich anstrengend werden wird.

Ich werde (NACH der Europameisterschaft) den Antrag stellen, mich zu den stehenden Werfern umklassifizieren zu lassen. Vorher ist dies nicht mehr möglich und auch unsinnig.

 

Ich kann nur ein paar wenige Schritte gehen, das auch nicht sonderlich gut. Aber ich habe mir durch das Training der letzten Jahre einen festen Stand erarbeitet. Am Anfang (2007) war das noch nicht so, im Laufe des Jahres 2012 wurde es besser, 2013 konnte ich dann wirklich sehr stabil stehen. Im Laufe des Tages schwankt das, ich kann auch nicht große Strecken ohne Rollstuhl gehen oder ganz auf diesen verzichten, aber es ist mir durchaus möglich, eine Kugel oder den Speer aus dem Stehen zu werfen. Wir haben vereinbart, dass ich Schutzkleidung tragen werde (Helm und evtl. Knieschoner) falls ich falle.

Nach der Regeländerung hat das IPC ein Schreiben rundgeschickt, in dem steht, dass sich Werfer meiner Gruppe und die in F57/58 entscheiden können, ob sie fortan stehend oder sitzend starten möchten. Ich werde also in Wales noch einmal im Sitzen starten, und werde dann den Antrag stellen, dass ich umklassifiziert werden möchte.

Ich schreibe das ganz bewusst jetzt, damit niemand sagen kann, ich hätte das heimlich hinten rum gemacht. Es wird Menschen geben, die sicherlich irgendwas Dämliches hinter meinem Rücken sagen, aber die haben das sowieso schon immer getan und ganz ehrlich: es ist mir vollkommen egal.

Nochmal: jede konstruktive Auseinandersetzung und Diskussion ist mir hier willkommen, jede Hetze gegen meine Person bitte ich an anderen Orten auszutragen.

 

Ein Gedanke zum Schluss: ich gehe diesen Schritt allein für mich, damit ich wieder Freude an diesem Sport finde. Als derzeit Führende der Weltrangliste im Speerwurf und Zweite im Kugelstoßen in meiner Startklasse gebe ich durchaus eine „sichere Position“ zugunsten einer „unsicheren Zukunft“ in einer neuen Startklasse auf, in der ich körperlich eingeschränkter als die anderen Athleten sein werde.

ABER ich habe mit 11 Jahren das Werfen begonnen und ich kann mir kein schöneres Gefühl vorstellen als wieder zu diesen Wurzeln zurück zu kehren auch wenn ich mit dem Wettkampfort mit dem Rollstuhl hin fahren muss. Wenn ich es wirklich schaffe, dauerhaft stehend zu stoßen und zu werfen, dann wird das wohl einer der glücklichsten Tage, die ich mir vorstellen kann.